Aus dem Schatten treten (Heidelore Stankowski)

„Etwas wühlt in mir. Es lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Ich kann es nicht fassen, begreifen... Wolken türmen sich über mir auf,
sie werden immer bedrohlicher. Ich kann ihnen nicht entfliehen!
Schatten fallen auf mein Leben, ich werde zum Schatten meiner selbst
Die Vergangenheft ist versunken, die Gegenwart eine Qual,
Zukunft..., was bedeutet dieses Wort???

Meine innere Sonne ist erloschen, so wie auch die Sonne am Himmel
für mich nicht mehr scheint ... Und nachts bin ich ohne Trost
dem kühlen Mond ausgeliefert.

Mit diesen Worten möchte ich das Erleben beschreiben, das während meiner fünf Jahre
andauernden psychischen Erkrankung bestimmend war.

Zu meiner Person

Im Alter von 41 Jahren wurde ich 1985 akut psychisch krank. Von kurzen Unterbrechungen abgesehen war ich fünf Jahre lang in stationärer Behandlung. Im Juni 1990 dann der entsetzliche Höhepunkt meiner Psychose - ich kam auf die geschlossene Station. Hatte sich mein Zustand in den Jahren davor nur verschlechtert, so erfolgte die Besserung auf den Gipfelpunkt meiner Erkrankung überraschend schnell. Im September 1990 wurde ich entlassen, seit Mai 1991 nehme ich auf eigenen Entschluss hin und gegen den Rat der Ärzte keine Psychopharmaka mehr.

Die Rückkehr ins „normale Leben“ gestaltete sich schwieriger, als ich geahnt hatte: Gläserne Mauern im Freundes- und Kollegenkreis, Feindseligkeiten von Nachbarn und der Hausbesitzerin hätten mich fast wieder an den „Rand des Wahnsinns“ gebracht, wenn ich nicht Unterstützung und Hilfe beim Sozialpsychiatrischen Dienst gefunden hätte.

1996 lud mich Frau Dorgeloh zur Mitgestaltung des geplanten Psychose-Forums ein. In meiner damaligen privaten und beruflichen Isolation eine interessante Aufgabe!

Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht:

Menschen, die so offen und vorbehaltlos miteinander sprachen, hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Man kann diese direkte Art der Verständigung wohl darauf zurück­führen, dass das erfahrene Leid, gleich aus welcher Perspektive es wahrgenommen wird, keine Umschweife und Umwege duldet. Das Aufrechterhalten von Masken wäre in einem solchen Zusammenhang reine Zeitverschwendung.

Im Psychose-Forum bemühen wir Krankheitserfahrenen uns, den Außenstehenden das geschlossene System im Denken und Fühlen während unserer Krankheit verständlich zu machen. Gehen die Ansprüche von Angehörigen und Professionellen auf „Krankheits­einsicht“ nicht oft an uns vorbei?

Was tun, wenn man sich selbst nicht mehr versteht?

Oder wenn man sich und die Welt so versteht, dass einen kein anderer mehr versteht, oder, schlimmer noch, wenn man von Gedanken und Mächten zu Handlungen getrieben wird, die das eigene Leben und das anderer zerstören?

Das Erleben einer Psychose möchte ich mit einem Alptraum vergleichen. Im Alptraum geschehen Dinge mit einem, die mit dem normalen Alltagserleben nicht vergleichbar sind. Wir erkennen uns im Traum, und gleichzeitig sehen wir uns wie einem Fremden zu

Man ist drinnen und draußen zugleich.

Ähnlich erging es mir während meiner Krankheit. Ich stand wie unter einem Bann: Mein Verstand registrierte meine „unmöglichen“ Verhaltensweisen und ich war mir auch über die Auswirkungen, die sie auf meine Umgebung hatten, im klaren. Dennoch war es mir unmöglich, etwas zu ändern.

Wird keine Hilfe gefunden, breitet sich der Alptraum auf alle Beteiligten aus: So ist es wohl für die Angehörigen (am schmerzlichsten für die Kinder) ein Alptraum, ihre Nächsten so unerreichbar und seltsam abwesend zu erleben.

Für manche Professionelle wird es hingegen ein Alptraum sein, die Angehörigen so blind für das von ihnen unerwünschte Andere in ihrem Verwandten zu sehen, und für uns Kranke ist es oft ein Alptraum, die überhebliche Blindheit mancher Ärzte ertragen zu müssen.

Wenn man seine eigenen „blinden Flecken“ nicht wahrhaben will, wie kann man dann seelisch Kranke aus ihrer inneren Dunkelheit herausführen? Wer In seinem Leben keine „schwarzen Löcher“ kennt, kann nicht annähernd die Panik eines psychotischen Menschen nachvollziehen. Und ohne Verständnis findet keiner aus seiner Einsamkeit und Isolation, gleichgültig, ob er zu den „Gesunden“ oder den „Kranken“ gehört!

Brücken bauen

Brücken des Verständnisses zu bauen ist angesichts des vorherrschenden Unverständnisses nötiger denn je. Im Psychose-Forum sammeln wir Bausteine, um solche Brücken der Verständigung zu errichten. Brücken verbinden, was von Natur aus getrennt ist, und nicht zuletzt: Von einer Brücke aus kann man den Ertrinkenden am schnellsten und sichersten retten...

Literatur:
1 Buck, D.: Auf dem weg zum Trialog
Blätter der Wohlfahrtspflege 7+8 (96), S. 192-194
2 Bock, Th., Deranders, J.E., Esterer, I.: Stimmenreich.
Mitteilungen über den Wahnsinn. Bonn 1992
3 Bock, Th., Deranders, J.E., Esterer, I.: Im Strom der Ideen.
Stimmenreiche Mitteilungen über den Wahnsinn. Bonn 1994
4 Bock, Th.: Das Hamburger Psychoseseminar.
KERBE, Die Fachzeitschrift der Sozialpsychiatrie 3(94), 5. 3U